April 1945: Eine Zeitzeugin erinnert sich

Zum bevorstehenden Volkstrauertag am kommenden Sonntag, den 15. November 2o2o, sowie rückblickend zum 75. Jahrestag der Zerstörung der Orte in der Hellmitzheimer Bucht.

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Im Frühjahr vor 75 Jahren erreichte der von Hitler-Deutschland entfesselte Krieg auch die Orte zwischen Schwanberg und dem Tannenberg. Am 11. April 1945 flogen US-amerikanische Kampfflugzeuge einen Luftangriff auf Hellmitzheim. Schon Tage vorher fielen Granaten und Bomben auf das Dorf. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben. Auch in den Nachbarorten Dornheim, Nenzenheim und Markt Einersheim herrschte in diesen Apriltagen Brand, Blut, Tränen und Elend.

Eine Augenzeugin erinnert sich

In Hellmitzheim wurden am 11. April 1945 fast jedes zweite Wohnhaus, über ein Drittel der Bauernhöfe komplett und ein weiteres Drittel zum Teil zerstört. Auch Verletzte gab es zu beklagen. Vor wenigen Monaten hat die heute 91jährige Anni Wirsing, geborene Lindner, ihre erschütternden Erlebnisse von damals in einen Zeitzeugenbericht verfasst. Ihre Erinnerungen hat Frau Wirsing zusammen ihrer Tochter Renate aufgeschrieben.

Der Bericht wurde dem Arbeitskreis Dorfarchiv vom Bürgerhaus Hellmitzheim überreicht und wird hier in zwei Teilen auf hellmitzheim.de nacheinander veröffentlicht. Eine gedruckte Ausgabe des Erlebnisberichts liegt als Handreichung am Gedenkgottesdienst am Sonntag, 15. November – 10:00 Uhr, in der Hellmitzheimer Dorfkirche aus.

Der Arbeitskreis Dorfarchiv vom Bürgerhaus Hellmitzheim e. V. bedankt sich für die Möglichkeit, diesen Augenzeugenbericht zu veröffentlichen.

Harald Heinritz, Erster Vorstand Bürgerhaus Hellmitzheim e. V.

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(Teil 1 von 2)

Es ist der 11. April 1945 – ich war 15 Jahre alt

Zusammen mit meinen Eltern und meiner Schwester Reta verbringe ich meine Kindheit und Jugend in Hellmitzheim. Ich wachse in einem kleinen Bauernhof auf und meine Eltern betreiben dazu noch die Dorfwirtschaft „Zum Grünen Baum“.

Mein Bruder Paul wurde vor drei Jahren im Alter von nur 17 Jahren zum Militär eingezogen. Im August 1944 ist er mit 19 Jahren in Litauen gefallen. Das war für unsere Familie ein furchtbares und schmerzliches Ereignis. Wir wollten und konnten das nicht glauben. Unsere Mutter Marie (damals 47 Jahre alt) wurde schwer herzkrank und wäre beinahe an ihrem Kummer um den geliebten Sohn und meinem Bruder gestorben.

Nun will ich von den Eindrücken berichten, die mich mein Leben lang nicht mehr losgelassen haben und bis heute in meinen Gedanken lebendig geblieben sind.

Frühling 1945 in Hellmitzheim

Ich kann mich noch sehr gut an die schrecklichen Erlebnisse vor und während des Bombenangriffes am 11. April 1945 auf Hellmitzheim erinnern.

Es ist ein relativ mildes Frühjahr in diesem letzten Jahr des 2. Weltkrieges. Im April ist es schon recht mild und sonnig. Die Bauern können das Vieh bereits jetzt mit Klee füttern, der gut gewachsen ist. Auch die Kartoffeln gedeihen in diesem Jahr besonders gut. Sie sind schon fast 30 cm hoch.

In Hellmitzheim sind deutsche Soldaten für die Verteidigung stationiert, die von einem hohen Leutnant der Wehrmacht kommandiert werden. An seinen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber er hatte einen sehr großen Einfluss auf das Kriegsgeschehen bei uns.

Hellmitzheim wird beschossen

Bereits am 9. April drohen die Amerikaner mit einem Beschuss, falls sich Hellmitzheim nicht ergeben sollte. Unser Bürgermeister Ferdinand Weigand will das Dorf natürlich vor einer Zerstörung retten und den Widerstand aufgeben. Der Leutnant, der noch immer vom Endsieg überzeugt ist, lässt das jedoch nicht zu. Ferdinand Weigand wird in einem Keller unserer Kirchenburg eingesperrt und kann deshalb das Schlimmste nicht mehr verhindern.

Der erste Beschuss der Amerikaner, der ein Zeichen setzen sollte, dass sie es sehr ernst meinen, erfolgt schon am 9. April 1945 von Willanzheim aus. Die Scheunen von Johann Krämer und Heinrich Weigand werden getroffen und brennen lichterloh. Mein Vater Hans Lindner (49) ist Feuerwehrkommandant und unten am Kirchbach damit beschäftigt, die Feuerwehrspritze mit Wasser zu befüllen. Die Feuerwehrbesatzung besteht aus vielen jungen, tatkräftigen Mädchen unseres Dorfes. Auch einige ältere Männer, die nicht mehr in den Krieg ziehen mussten, sind aktiv in der Feuerwehr tätig. Die jungen, starken Männer und Burschen sind leider alle im Krieg. Mein Vater versucht, mit den Kameraden und den jungen Mädchen, die Scheunenbrände schnell zu löschen, doch es gelingt ihnen nicht.

„Sie ist tot“

Ich bin natürlich neugierig und renne nach dem Angriff in die Hintergass` um das Feuer zu sehen. Doch im Gässchen unterhalb des Pfarrhauses sehe ich eine Frau mit dem Gesicht nach unten auf der Straße liegen. Ich will ihr helfen und drehe sie um. Erstarrt vor Schreck erkenne ich Katharina Haag. Sie ist tot. Nach diesem schauerlichen Erlebnis bin ich sofort heim gerannt und habe alles erzählt.

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Ende Teil 1.

Der zweite und letzte Teil des Zeitzeugenberichts von Frau Wirsing wird hier auf hellmitzheim.de am Volkstrauertag, Sonntag – 15. November, veröffentlicht. Darüber hinaus liegt der ganze Bericht am Gedenkgottesdienst zum Volkstrauertag (kommender Sonntag – 10:00 Uhr), als gedruckte Handreichung in der Dorfkirche Hellmitzheim aus.

Fröhlichere Zeiten mit lachenden Gesichtern
Anni Wirsing, geborene Lindner (im Foto ganz rechts). Im Hintergrund das Gasthaus „Zum Grünen Baum“ in Hellmitzheim der 1950er Jahre.
(Foto überreicht von Lotte Zobel, 2. von links)

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Bereits auf hellmitzheim.de veröffentlichte Zeitzeugenberichte vom April 1945 in Hellmitzheim finden Sie hier

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Titelfoto: Hellmitzheimer Dorfkirche nach der Zerstörung im April 1945 | Dorfarchiv Hellmitzheim