April 1945: Ein Zeitzeuge erinnert sich

Hellmitzheim / Trier / Merzig: Ein junger Evakuierter aus dem Saarland erinnert sich

Hans Neusius musste als junger Bub seine saarländische Heimatstadt Merzig wegen der nahenden Kriegsfront Ende 1944 verlassen. Zusammen mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester wurde er in Hellmitzheim bei der Landwirtsfamilie Müller [heute Dornheimer Straße] einquartiert.

Bei Kriegsende war Hans Neusius zehn Jahre alt. 74 Jahre später erinnert er sich an das Kriegsende 1945. Weit entfernt von seiner Heimatstadt Merzig [Saarland] musste der Junge Luftangriffe und Kämpfe im fränkischen Evakuierungsgebiet miterleben.

 

So schildert er seine Erlebnisse:

„Die Amis sind da, für uns ist der Krieg zu Ende“

„Nach einem schweren Luftangriff auf meine Heimatstadt Merzig am 19. November 1944 und dem anschließenden Beschuss durch amerikanische Artillerie hatten wir – meine Mutter, meine drei Jahre alte Schwester und ich, neun Jahre alt – die Stadt verlassen müssen. Mein Vater war 1943 eingezogen worden.

Bald wurde auch Wadrill, der kleine Ort im östlichen Kreisgebiet, in dem wir Zuflucht gefunden hatten, von amerikanischen Jagdbombern (Jabos genannt) angegriffen. Mit einem der Sonderzüge, die von Wadern im Kreis Merzig in Bergungsgebiete „im Reich“ fuhren, verließen wir mit mehreren Verwandten und vielen anderen Merzigern Anfang Dezember 1944 unsere Bleibe nahe der Stadt. Die Sonderzüge fuhren wegen der ständigen Jabo-Gefahr abends bei Dunkelheit los. Zwischen den Personenwaggons waren flache Güterwagen mit Flakgeschützen eingehängt, um mögliche Angriffe abzuwehren. Morgens, als es heller wurde, wuchs auch die Angst vor Luftangriffen auf den Zug.

Am Nachmittag erreichten wir unseren Zielort: Hellmitzheim, einen kleinen Ort in Mittelfranken, zwischen Würzburg und Nürnberg. Die Flüchtlinge wurden auf Hellmitzheim und die umliegenden Nachbarorte verteilt. Eine junge Bäuerin lud meine Mutter mit uns und unserem Gepäck auf einen pferdebespannten Leiterwagen und brachte uns zu einem stattlichen Hof am westlichen Dorfrand. Das schmucke Dorf mit vielen Fachwerkhäusern, der Kirche, dem Dorfplatz mit Gastwirtschaften schien eine Oase des Friedens jenseits vom Krieg. Das änderte sich aber schon bald.

In den ersten drei Monaten 1945 wurden wir Zeugen der alliierten Bomberverbände, die Würzburg und Nürnberg in Schutt und Asche legten. Die Brände waren nachts zu sehen und der Lärm der Bombeneinschläge wie ferner Donner zu hören.

Mitte März 1945 kamen deutsche Soldaten nach Hellmitzheim. Ihre Maschinengewehre, Munition, Panzerfäuste, Maschinenpistolen schleppten sie mit sich. Fahrzeuge hatten sie nicht mehr. Etwa zehn Mann kamen in unser Haus und gruben sich im Garten und ums Haus herum ein. Auf dem Speicher richteten sie einen Beobachtungsposten ein. Zwei Ziegel, mit Holzstücken hochgestellt, erlaubten dem Posten mit einem Fernglas die Feindbewegungen zu beobachten. Ich durfte den Posten gelegentlich begleiten. Westlich, etwa acht Kilometer entfernt, konnten wir beobachten, wie die Amerikaner mit Panzern, Lastwagen und Geschützen in eine Senke einfuhren, wo ein kleiner Ort lag.

Am anderen Tag war Geschützfeuer zu hören. Bald war klar, dass der Nachbarort Dornheim, zwei Kilometer südlich von Hellmitzheim, das Ziel war. Von einer Mauer am Dorfrand konnten wir und die Jugend des Dorfes das „Spektakel“ beobachten. Die Abschüsse und darauffolgenden Einschläge kamen uns wie eine lebendige Wochenschau vor.

Am zweiten Tag verstummten die Geschütze für einige Minuten. Dann ging es wieder los. Aber plötzlich ein Pfeifen über unseren Köpfen und ein Granateinschlag hinter uns in einem Geräteschuppen. Ziegel und Latten flogen umher. Panikartig verließen wir unseren Beobachtungsposten und stürmten nach Hause. Meine Mutter war von einem Besuch bei meiner Großmutter schon zurück. Im Haus Hektik. Im Keller wurden die Kartoffeln ausgebreitet, Bretter aufgelegt und das Bettzeug aufgebracht.

Für die nächsten Tage nahmen wir alle, Herr und Frau Müller, die Hofbesitzer, ihre Tochter Meta, das Hausmädchen Anne und meine Mutter mit uns, im Keller Quartier. Plötzlich ein ohrenbetäubender Motoren- und Schusslärm. Jabos schossen auf die Dächer. Die Häuser gingen in Flammen auf. In Massen waren Stabbrandbomben mit Phosphorsprengsätzen abgeworfen worden.

 

 

Auch in unserem Hof standen Stallgebäude, Scheunen, Geräteschuppen und Holzvorräte in Flammen. Herr Müller und Meta stürmten hinaus um das Vieh zu retten. Die Pferde und Kühe konnten ins freie Feld getrieben werden. Die Schafe waren nicht mehr durch das offene aber brennende Holztor zu bewegen und verkohlten in der Scheune. Das Wohnhaus konnte dank der Eimerkette, die die Soldaten mit den Hausbewohnern vom Gartenbrunnen aus bildeten, gerettet werden. Meine Aufgabe bestand darin, im Keller auf meine Schwester aufzupassen und die Kellerfenster zu kontrollieren, damit nicht durch Funkenflug unser Bettlager verbrannte. Am Nachmittag des 12. April 1945 besetzten die Amerikaner das Dorf. Damit war für uns der Krieg zu Ende. Bis es soweit war, hatten wir jedoch noch einiges durchzustehen.

Wir haben – Gott sei Dank – die Kriegszeiten überlebt. Im Juni 1945 konnten wir in unsere Heimat zurückkehren. Auch mein Vater kehrte 1947 aus englischer Gefangenschaft zurück.“

Hans Neusius | Trier, im April 2019

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Zur Person:

Hans Neusius, Jahrgang 1935, lebt heute zusammen mit seiner Ehefrau Gabriele in Trier (Rheinland-Pfalz). Seine Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit in seinem damaligen Heimatort Merzig (Saarland) veröffentlichte er 2013 in seinem Buch „Als die Sirenen heulten“. Darin auch die Zeit der Einquartierung mit Alltag und Erinnerungen aus dem Dorfleben in Hellmitzheim von Dezember 1944 bis Juni 1945.

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Die Dorfkirche Hellmitzheim heute

2005 wurde vor der Kirche ein Mahnmal in Erinnerung an die Tage im April 1945 errichtet

 

Der Arbeitskreis Dorfarchiv Hellmitzheim [Bürgerhausverein Hellmitzheim] bedankt sich bei Herrn Neusius und seiner Frau für die gute Zusammenarbeit bei der Erstellung dieses Berichtes.

(Fotos: Dorfarchiv Hellmitzheim)